Ich habe 130 Tage mit einer Sonnenblume gelebt
11. Juli bis 23. November 2025
Ort: Badischer Kunstverein
Wir freuen uns sehr, mit Ștefan Bertalan (*1930, Răcăștie – 2014, Timișoara) einen der außergewöhnlichsten und wegweisendsten rumänischen Künstler in einer umfangreichen Einzelausstellung in Deutschland zu zeigen. Die Präsentation umfasst mehrere Jahrzehnte seines künstlerischen Schaffens und konzentriert sich auf die Jahre in Timișoara (ab 1962) und Sibiu (1982–85) bevor Bertalan mit seiner Familie nach Deutschland emigrierte und erst nach 1989 wieder in Rumänien einreisen konnte. Die Ausstellung ist in verschiedene Kapitel strukturiert, die sich auf spezifische Bildthemen, Materialien und Herangehensweisen in Bertalans Praxis konzentrieren und diese in verschiedene Richtungen miteinander in Verbindung setzen.
Ștefan Bertalans künstlerisches Werk ist recherche- und prozessorientiert. Zentraler Gegenstand seiner Untersuchungen ist die Natur, insbesondere das Wachstum der Pflanzen, aber auch die Anatomie von Tieren (Insekten), die Struktur von Steinen, Muscheln und Mineralien, die Topologie von Landschaften, die Bewegung der Wolken und Winde oder die Bestimmung astronomischer Körper und kosmologischer Zusammenhänge. Für die Aufzeichnung seiner Untersuchungen arbeitete Bertalan mit verschiedenen Medien, insbesondere mit Zeichnungen, wobei die Ausstellung vor allen Dingen seine experimentellen Fotografien, Aktionen und Happenings im öffentlichen Raum sowie die Performances in den Blick nimmt.
In langen Spaziergängen in und um Timișoara oder in der alltäglichen Begegnung mit dem Garten vor seinem Atelier suchte der Künstler in der Natur nach Formen als Inspiration für seine Forschung und Kunst. So entstand ein vielseitiger Kosmos aus Skizzen, tagebuchartigen (poetischen) Texten und mathematischen Berechnungen, die den morphologischen Prozess von der Samenkapsel über das Aufblühen bis hin zum Verwelken der Pflanze begleiten. Bertalans Haus war zugleich Labor, Atelier und Versammlungsort, das Interieur geprägt von seiner Leidenschaft, Wertschätzung und Neugier für die ihn umgebende Natur. Seine experimentellen Beobachtungen setzte der Künstler als Gründungsmitglied der Gruppe Sigma fort, die kollektiv und interdisziplinär mit Erkenntnissen aus der Kybernetik, Informatik, Mathematik, Bionik und Psychologie arbeitete. Bertalans Zugang zur Natur wurde zum Gegenstand eines neuartigen Lehrkonzepts, das er an der Kunsthochschule und der Architekturfakultät des Polytechnischen Instituts einführte und so die Studierenden zu einem nachhaltigen Engagement für die Natur motivieren konnte. In diesem Kontext entstanden auch einige Aktionen und Happenings, in denen aus der Natur entwickelte Formen auf plastische Materialien übertragen wurden (Seile, Stoffe, transparente Folien) – als ein Modell ständiger Transformation, das den medienübergreifende Zugang Bertalans exemplarisch verdeutlicht.
Ștefan Bertalans Interesse galt Pflanzen, die eine außergewöhnliche geometrische Ordnung visualisieren oder eine gewisse vegetabile Widerständigkeit markieren, wie beispielsweise die hohe Sonnenblume in ihrem Streben nach Licht, der Aprikosenbaum mit seiner verzweigten Krone als Netzwerk oder der gemeine Stechapfel mit seiner trichterförmigen Blüte in Form eines Pentagons. Der Blumenkohl faszinierte Bertalan in seiner fraktalen Struktur, die er anhand von Markierungen und Farben analysierte und 1977 als Werk in einer Ausstellung präsentierte. In all diesen Arbeiten verdeutlicht sich ein analytisches, an mathematischen und biologischen Prozessen orientiertes Interesse, aber vielmehr auch ein subjektives Gespür für die Natur als gleichberechtigte Allianz in einem universellen (Kunst-)System mit den Pflanzen als ihren Agentinnen.
Bertalans Kommunikation mit der Natur auf Augenhöhe war geprägt von Prinzipien der Bionik, der Systemtheorie, aber in besonderem Maße von einer holistischen Anschauung der Welt als ein Netz untrennbarer Beziehungen von Lebewesen in Raum und Zeit. Je näher der Künstler den Pflanzen kam, um so klarer visualisierte sich eine Verwandtschaft, wobei ihm die Pflanze als dem Menschen überlegen erschien, da sie das Ökosystem stützt und nicht zersetzt. Bertalan beginnt mit der Natur zu kommunizieren, die Pflanzen zu personifizieren – wie die Sonnenblume in der titelgebenden Performance – bis er sich selbst in die Natur einschreibt, mit ihr wächst und schließlich im Exil mit ihr verschwindet (Selbstportrait als Kartoffel in ihrer Untergrundexistenz).
Bertalans Arbeiten sind in ihrem konsequenten Non-Konformismus auf subtile Weise kritisch und sein Leben mit den Pflanzen pure Anarchie. Seine immer präsenter werdende Hinwendung zur Mystik und Transzendenz ist in ihrem bewussten Entzug aus der Realität im Kommunismus ähnlich radikal. Bertalans symbiotischer Umgang mit der Natur ist bis heute hoch aktuell und verknüpft sich auf verschiedenen Ebenen mit den künstlerischen Positionen in Plants_Intelligence im Atrium des Kunstvereins.
Kuratiert von Anja Casser
Die Ausstellung wird gefördert durch die Baden-Württemberg Stiftung.
Die Ausstellung wurde ermöglicht mit großer Unterstützung durch Esther Schipper, Berlin, Paris, Seoul und The Estate of Ștefan Bertalan sowie von Georg Lecca / Sammlung Lecca, München.
Unser großer Dank gilt Esther Schipper Galerie, Georg Lecca, Georg Schöllhammer und Ileana Pintilie.
Bild: Ștefan Bertalan, Der Sinn der Welt neu gestaltet, 1986–1987
, Tempera auf Karton, 64×50 cm, Sammlung Lecca – München
Waldstraße 3, 76133 Karlsruhe
Kontakt
E-Mail: info@badischer-kunstverein.de
Telefon: 0721-28226
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Webseite des Veranstalters (http://www.badischer-kunstverein.de)
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